Donnerstag, 18. September 2014
Die Linkspartei schuld an den Erfolgen einer Nazipartei?

Hallo! Wißt ihr schon das Neuste? Eine neue rechte Partei ist aufgetaucht! Die AfD! In zwei Landtagswahlen hat diese Partei schon zweistellige Ergebnisse eingefahren. Kenner befürchten, daß diese Nazis bald die Bundesrepublik auf den Kopf stellen werden! Doch der Schuldige wurde bereits gefunden: Trotz aller Meinungsverschiedenheiten ist natürlich die Linke schuld! Glaubt ihr nicht? Da schaut mal! Der zitiert die gebührenfinanzierte Idiotenlaterne, die es ja wissen muß:

Welche Parteien haben die Wähler der AfD im Jahre 2009 gewählt?, in Brandenburg
ParteiWelche Parteien haben die Wähler der AfD im Jahre 2009 gewählt; Anteil vH
Nichtwähler40.0
Linke22.0
CDU14.0
SPD12.0
FDP10.0
Grüne1.0
sonst1.0

Welche Parteien haben die Wähler der AfD im Jahre 2009 gewählt?, in Thüringen
ParteiWelche Parteien haben die Wähler der AfD im Jahre 2009 gewählt; Anteil vH
Nichtwähler27.0
Linke15.0
CDU13.0
FDP13.0
FW10.0
NPD10.0
SPD8.0
Grüne3.0
sonst1.0

Ha, da haben wir es schwarz auf weiß! Am Erstarken der Rechten sind die Linken schuld, gleich nach den Nichtwählern! Das muß stimmen! Ist gebührenfinanziertes Fernsehen! Stimmt wahrscheinlich tatsächlich auch! Und den Rest der zum Verständnis benötigten Informationen kann man bei Wikipedia nachlesen: Hier steht alles zu den Landtagswahlen in Brandenburg 2009. Da kann man analoge Informationen über die Landtagswahlen in Thüringen 2009 finden. Ähnliche, die Landtagswahlen in Brandenburg 2014 bzw. die Landtagswahlen in Thüringen 2014 betreffende Informationen kann man ebenso in der Wikipedia nachschlagen. Diese Informationen werden nur in einem irreführenden Kontext geboten, nämlich in dem aus dem Kalten Kriege stammenden totalitarismustheoretischen oder «Hufeisen»-theoretischen Kontext, mit dem der deutsche Staatsbürger von klein auf indoktriniert wird, wonach Linke so etwas wie Rechte wären und umgekehrt. Ein gewöhnlicher Verschwörungsheini, wie man ihn in der Linkspartei zu Hauf finden kann, wäre berechtigt, das öffentlich-rechtliche Fernsehen dafür für ein Schlitzohr zu halten.

Verlassen wir doch einmal den Einflußbereich dieses totalitarismustheoretischen Kontextes und stellen uns vor, wir würden Passagiere in einer Straßenbahn fragen, welche Partei sie im Jahre 2009 gewählt hätten! Welches Ergebnis könnte man erwarten? Wäre es ein Wunder, wenn die Anzahl der Passagiere, die die Linkspartei gewählt haben, dreimal so groß wäre, wie die Anzahl der Passagiere, die die FDP gewählt haben? Nein! Es gibt nämlich ja auch dreimal soviel Linkspartei-Wähler als FDP-Wähler! Ist es ein Wunder, daß es unter AfD-Wählern mehr ehemalige Linkspartei-Wähler gibt als ehemalige FDP-Wähler?

Wir müssen zwei Informationen unterscheiden. Die nutzlose, irreführende Information bietet uns das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die nützliche Information kann man aber aus den o.g.Quellen erschließen, so daß man dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts nachsagen kann:

  • Man kann erstens alle AfD-Wähler betrachten, und in dieser Menge die ehemaligen Linkspartei-Wähler und zum Vergleich die ehemaligen Wähler aller übrigen Parteien zählen. So erhält man die nutzlose Information;
  • Man kann aber auch alle ehemaligen Linkspartei-Wähler betrachten, die AfD gewählt haben. Das ist eine ganz andere Information!

Wer das nicht versteht, versteht auch folgendes Lua-Script nicht:


-- gegeben: -------------------

local Wahlbeteiligung2009 =  { Br =  .670, Th =  .562 }
local Wahlbeteiligung2014 =  { Br =  .479, Th =  .527 }

local AfDWaehler2014PerWahlvolk
   =  { Br =  0.122, Th =  0.106 }

local Results2009PerWahlvolk =  {
      Br =  {
            CDU   =  .198
         ,  DVU   =  .011
         ,  FDP   =  .072
         ,  FW    =  .017
         ,  Gr    =  .057
         ,  Linke =  .272
         ,  NPD   =  .025
         ,  SPD   =  .330
         ,  sonst =  .018 }
  ,   Th =  {
            CDU   =  .312
         ,  FDP   =  .076
         ,  FW    =  .039
         ,  Gr    =  .062
         ,  Linke =  .274
         ,  NPD   =  .043
         ,  SPD   =  .185
         ,  sonst =  .009  }}

local AfDZugang =  {
      Br =  {
           CDU          =  0.14
        ,  DVU          =  0.00
        ,  FDP          =  0.10
        ,  FW           =  0.00
        ,  Gr           =  0.01
        ,  Linke        =  0.22
        ,  Nichtwaehler =  0.40
        ,  NPD          =  0.00
        ,  SPD          =  0.12
        ,  sonst        =  0.01 }
   ,  Th =  {
           CDU          =  0.13
        ,  FDP          =  0.13
        ,  FW           =  0.10
        ,  Gr           =  0.03
        ,  Linke        =  0.15
        ,  Nichtwaehler =  0.27
        ,  NPD          =  0.10
        ,  SPD          =  0.08
        ,  sonst        =  0.01 }}


-- Rechengang -------------------------------

local AfDWaehler2014 =  {}
for Bundesland, Anteil in pairs(AfDWaehler2014PerWahlvolk)
do AfDWaehler2014[Bundesland]
      =  Anteil * Wahlbeteiligung2014[Bundesland]
end

local Results2009 =  {}
for Bundesland, Wahlergebnis in pairs(Results2009PerWahlvolk)
do Results2009[Bundesland] =  {}
   for Partei, Anteil in pairs(Wahlergebnis)
   do Results2009[Bundesland][Partei]
         =  Anteil * Wahlbeteiligung2009[Bundesland]
   end
   Results2009[Bundesland].Nichtwaehler
      =  1 -  Wahlbeteiligung2009[Bundesland]
end

local AfDAbtruennige =  {}
for Bundesland, Wahlergebnis in pairs(Results2009)
do AfDAbtruennige[Bundesland] =  {}
   for Partei, Anteil in pairs(Wahlergebnis)
   do AfDAbtruennige[Bundesland][Partei]
         = AfDWaehler2014[Bundesland] * AfDZugang[Bundesland][Partei]
          / Anteil
   end
end


-- Ergebnis: ---------

for Bundesland, Wahlergebnis in pairs(AfDAbtruennige)
do for Partei, Anteil in pairs(Wahlergebnis)
   do print(Bundesland, Partei, Anteil)
   end
end

os.exit(0)

Wenn man das ausführt, ergibt sich:


Br	sonst	0.048456053067993
Br	Gr	0.015301911495156
Br	Linke	0.070546312554873
Br	DVU	0
Br	Nichtwaehler	0.070833939393939
Br	CDU	0.061671340268355
Br	SPD	0.031716689280868
Br	FDP	0.12114013266998
Br	FW	0
Br	NPD	0
Th	sonst	0.11044286279162
Th	Gr	0.048096085409253
Th	Linke	0.054415279112658
Th	Nichtwaehler	0.034435479452055
Th	NPD	0.23115948026152
Th	SPD	0.042983168221602
Th	FDP	0.17002388087657
Th	FW	0.25486814490373
Th	CDU	0.041416073546856

bzw. etwas in klarerer Form:

Anteile des Wahlvolkes der einzelnen Parteien, die 2014 AfD gewählt haben, in Brandenburg
ParteiAnteil vH der Wähler im Jahre 2009, die 2014 AfD gewählt haben
FDP12.1
sonst11.0
Nichtwähler7.1
Linke7.1
CDU6.2
SPD3.2
Grüne1.5

Anteile des Wahlvolkes der einzelnen Parteien, die 2014 AfD gewählt haben, in Thüringen
ParteiAnteil vH der Wähler im Jahre 2009, die 2014 AfD gewählt haben
FW25.5
NPD23.1
FDP17.0
sonst11.0
Linke5.4
Grüne4.8
SPD4.3
CDU4.1
Nichtwähler3.4

Was sehen wir hier in dieser Aufstellung? Nun, erstens die Wähler der Linkspartei erweisen sich nicht als die Speerspitze des antifaschistischen Widerstandes, aber auch nicht als das Rekrutierungsfeld der Rechten. Andererseits erstaunen mich die Ergebnisse der CDU. Alle anderen Daten bestätigen meine Erwartungen. Und bevor den Wählern derjenigen Parteien die Brust vor Stolz schwillt, denen diese Tabellen eine relative Unschuld bescheinigt, merke ich noch schnell an, daß zu genau der Zeit, als die betreffenden Parteien an der Macht waren, das öffentlich-rechtliche Fernsehen das deutsche Volk mit der Ideologie einseifte, die man heute in Gestalt der AfD zu sehen bekommt, oder auch in Gestalt der FDP oder FW. Und in derselben Zeit wurde auch die Agenda 2010 beschlossen, sowie HartzIV umgesetzt. Das gute Abschneiden dieser Parteien ist eher als Meidungsreflex als als antifaschistischer Widerstand zu verstehen: «Igitt, die sind rechts! Die wählt man nicht!», worauf die AfD antwortet: «Ich habe die Schnauze voll von PC! Ich wähle sie, weil ihr mir gesagt habt, daß ich sie nicht wählen soll!» An soviel Blödheit ist freilich die Linkspartei vollkommen unschuldig.

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Glaub ich nicht...
Kann Deinen Ausführungen zwar nicht ganz folgen, aber ich glaube nicht das eine Partei schuld ist. Meiner Meinung nach sind es alle Parteien mehr oder weniger, was zur Politikverdrossenheit und ganz schlimm, zu Nichtwählern führt. Aber Wählen finde ich wichtig, sonst machen die Politiker was sie wollen. Mehr statt weniger Demokratie ist angesagt; darum finde ich Volksabstimmungen auch so wichtig, leider haben die Parteien die sich für mehr Demokratie einsetzen viel zu wenig Wähler. Also wenn man alle Nichtwähler mobilisiert (fast 52%, also die größte "Partei"), dann könnte man die politische Landschaft doch stark verändern. Warum also nicht Internetwahlen einführen. Per Handy bezahlen, und Onlinebanking Bankgeschäfte abwickeln ist sicher genug aber per Internet wählen soll nicht gehen, hää? In was für einem rückständigen Land leben wir eigentlich? Das ist jedenfalls meine Meinung.

Gruß
Horst

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Nichtwählen ist nicht schlimm. Im Gegenteil! Warum sollte denn eine riesige Herde zomboizierter Fernsehzuschauer das politische Urteil des politisch interessierten Souveräns verwässern müssen/dürfen? Das würde doch erst recht in jenem Souverän das Ohnmachts-Gefühl aufkommen lassen, das schließlich zu Politikverdrossenheit führt.

Auch die Logik, daß Nichtwählen Extremismus begünstige, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem Land ein Demagoge auftaucht wie Sarrazin oder die AfD, dann wären diese das Problem und nicht die Nichtwähler.

---

Wahlcomputer haben technische Probleme, so daß sie nicht liberalen Ansprüchen genügen. Auch gegen plebiszitäre Elemente werden von liberaler Seite Einwände vorgebracht.

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