Die weithin bekannte Opernsängerin Anna Netrebko unterstützt Terroristen, heißt es, und müsse fortan boykottiert werden, ihre österreichische Staatsbürgerschaft entzogen werden, usw. Das fordern zumindestens Heerscharen transatlantischer Berufstrolle im Internet. Jeder könne sein Scherflein dazu beitragen, daß die Welt ein klein wenig friedlicher wird, einfach indem man Anna Netrebkos Karriere ruiniert. Denjenigen, die sich an diesem Boykott beteiligen möchten, mögen bitte damit warten, bis sie Quellen studiert haben, die ich sogleich präsentieren werde. Danach soll jedermann entscheiden, ob er diesen Boykott immer noch für richtig hält.
Soviel kann man trotz der vielen Fakes im Internet wohl sagen: Anna Netrebko spendet ein wenig Geld, damit damit das Donezker Opernhaus repariert wird, das durch Kriegseinwirkung beschädigt wurde. Donezk liegt bekanntlich in einer Region der Ukraine, die von Separatisten beherrscht wird, die von jenen, die Anna Netrebko boykottieren möchten, «Terroristen» genannt werden. Anna Netrebko hielt gemeinsam mit Führern dieser Separatisten eine Pressekonferenz ab. Diese Pressekonferenz wurde im Video festgehalten und auf Youtube veröffentlicht.
Doch - oh Schreck! - sie hält gemeinsam mit Oleg Tsarev, einem Anführer der Separatisten die Flagge der Separatisten in der Hand! Transatlantische Berufstrolle reagieren darauf wie ein Stier in der Arena auf das rote Tuch. Dabei hat offenbar niemand sich das Video genau angesehen! Nur eine einzige Szene wird überall im Internet herumgereicht, genau die Szene, in der Anna Netrebko eben dieses rote Tuch in der Hand hält, und dem Betrachter suggiert, daß Anna Netrebko sich auf die Seite dieser Separatisten stellt. Man nimmt auch ihre Erklärung nicht für voll [Nachtrag 2014-12-14: Tsarev widerspricht ihr anscheinend zum großen Teil; nein, Anna, Du kommst hier nicht mehr heraus! Du bist jetzt das Gesicht Novorossias. Die einen werden Dich dafür lieben, die anderen hassen. Sei ersteren gewogen; enttäusche sie nicht mit nachträglichen feigen Distanzierungen!].
Rusvesna heißt Russischer Frühling. So bezeichnen diese Separatisten ihren militärischen Konflikt. Ihr gleichnamiges Portal Rusvesna war es möglicherweise, das diese Pressekonferenz aufgezeichnet und youtube anvertraut hat. Folgt einmal dem Link und schaut Euch das Video (an das Ende dieses Artikels scrollen!) an! Wenn man das rote Tuch in diesem Video mit der Hand abdeckt, damit der Puls wieder normal geht, so wird man eine ganze Reihe weiterer Symbole wahrnehmen, die bei der Pressekonferenz zu sehen waren. Das sind nicht die Zeichen der Separatisten sondern die Anna Netrebkos. Die Wand hinter dem Podium zeigt eine Frau mit drei Punkten auf der Brust. Dann taucht eine Flagge mit ebendenselben drei Punkten auf, die sich «Pax Cultura» nennt, und einer Bewegung gehört, die sich auf einen gewissen Nicholas Roerich beruft. Diese Bewegung hat sich zum Ziel gesetzt, Kunstwerke vor Beschädigung durch Kriegseinwirkung zu bewahren. Hier kann man sich bei der New Yorker Vertretung dieser Bewegung über diese Bewegung informieren. Wer die russische Sprache beherrscht, der kann sich auch bei der St. Petersburger Vertretung informieren.
Dieses Portal Rusvesna zeigt, wie man effektiv Propaganda betreibt. Zwar sind die Bilder, die im Internet herumgereicht werden, mit großer Sicherheit echt. Jedoch drängen sie dem Betrachter einen möglicherweise falschen Eindruck auf. Und formal gesehen, ist Rusvesna daran unschuldig! Dieses Portal setzt ja diese Bilder in den richtigen Kontext. Doch prorussische und transatlantische Berufstrolle klauen nur Bilder, verbreiten diese und fügen ihre eigenen Interpretationen an, die sich auf den falschen Eindruck stützen, den diese Bilder für sich allein genommen beim Betrachter erzeugen.
Weil ich nicht davon ausgehen kann, daß jedermann die russische Sprache beherrscht, die Aussagen im genannten Artikel aber durchaus von Belang sind, übersetze ich den o.g. Artikel aus Rusvesna einfach mal: Manche dieser Berufstrolle behaupten ja, der Separatistenführer Oleg Tsarev, der in der o.g. Pressekonferenz Anna Netrebkos Spende entgegengenommen hat, wüßte überhaupt keine Schäden am Donezker Opernhaus zu nennen. Ganz am Schluß des Artikel zählt Oleg Tsarev einige von ihnen auf. Achtet mal darauf! Und achtet mal auch darauf, daß das böse rote Tuch Anna Netrebko aus Dankbarkeit des Volkes Novorossias, d.h. der separatistische Entität, der Oleg Tsarev vorsteht, als Geschenk übergeben wurde!
Bitte helft mir, Fehler zu beseitigen! Ich bin schwach in Russisch! Ich übersetze diesen Artikel auch deshalb, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern.
Oleg Tsarev: «Anna Netrebko spendete eine Million Rubel für die Wiederherstellung der «Donbass-Oper»» (eigenhändige Übersetzung aus dem Russischen)
Wie «Russischer Frühling» [d.h. Rusvesna] bereits berichtete, übergab die weltbekannte Opernsängerin Anna Netrebko der Donezker Oper und dem Ballett eine Million Rubel.
Der Vorsitzende des Parlaments Novorossias teilte die Umstände dieser hochherzigen Tat mit:
Heute nahm ich im Rahmen des Internationalen St. Petersburger Kulturforums zusammen mit der Volkskünstlerin Rußlands, der Staatspreisträgerin Anna Netrebko, mit Yusif Ejvazov, mit Alexej Bondarenko, dem Direktor des Museumsinstituts der Familie Roerich in St. Petersburg, mit Vladislav Monastyrski, dem Vize-Präsidenten der Internationalen gemeinnützigen Stiftung «Roerichs Erbe» und Zhanna Shevtsova, der Präsidentin des Fonds «Tradition» für die Unterstützung von Kulturinitiativen, an einer Pressekonferenz teil.
Grundanliegen der Konferenz ist, die Weltkulturgemeinschaft darauf aufmerksam zu machen, daß die Zerstörung von Kulturgegenständen in Kriegszeiten unzulässig ist. Bei einem Zusammentreffen mit Anna Netrebko übergab sie die mildtätige Spende über einer Million Rubel für die Wiederherstellung des durch Kampfhandlungen beschädigten Donezker Theaters «Donbass-Oper».
Ich sagte, daß in Donezk fortwährend Künstler unter Beschuß und ohne Bezahlung spielen genau wie während der Blockade Leningrads. Und genau wie während der Blockade Leningrads ergibt sich Novorossia nicht und hält durch. Es freut mich, daß gerade hier in St. Petersburg ein erstklassiger Opernstar den Marathon zur Erhaltung der Kultur im Donbass startet.
Ich danke Anna dafür, daß ihr das Schicksal des Donezker Theaters und ihrer Künstler nicht gleichgültig ist, die nicht aufhören, aufzutreten, ungeachtet sogar von Kampfhandlungen. Dem Artilleriebeschuß konnte man natürlich nicht entgehen. Er zerstörte Bühnenausstattung, Abstellräume von Transportmitteln; und er zerstörte sogar Teile von Bühnenbildern für die bekanntesten Theateraufführungen, die von Richard Wagners romantischer Oper «Fliegender Holländer» und dem Ballett «Spartakus». Wir werden die von Anna zur Verfügung gestellten Mittel zum nächstgelegenen Zeitpunkt der «Donbass-Oper» zuleiten. Als Zeichen der Dankbarkeit meiner Mitbürger überreiche ich ihr das Banner Novorossias und ich persönlich ein Buquett.
Die Sache mit dem Schleifchen
Für den Fall, daß diese Szene auf dem Internationalen St. Petersburger Kulturforum nicht ausreichen sollte, um Anna Netrebko Sympathien für prorussische Terroristen zu überführen, wird noch ein anderes Bild herumgereicht, auf dem sie in einem mit einem St.-Georgs-Bändchen geschmückten T-Shirt zu sehen ist, auf dem übersetzt «nach Berlin» steht. Das ist doch wohl die Höhe; was! Es weiß doch jeder, daß das St.-Georgs-Bändchen das Zeichen der prorussischen Separatisten ist! Frau Netrebko; was sagen Sie dazu?!
Bürger! Google ist Euer Freund! Oder auch Yandex! Besonders die Bildersuche! Benutzt sie! Dieses Bild hat eine Stelle aufgefunden, von wo das betreffende Bild möglicherweise geklaut wurde. Man achte auf das Datum in diesem Artikel! Es geht um den 9. Mai 2010! Der Separatismus begann erst vier Jahre später! Sie sympathisierte also, wenn es nach den transatlantischen Berufstrollen ginge, bereits vier Jahre früher mit dem Separatismus, bevor dieser einsetzte!
Sucht das besagte Bild in diesem Artikel! In der Bildunterschrift steht alles, was man wissen muß: Anna Netrebko feiert den russischen Tag des Sieges, den Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg. Der 9. Mai, der Tag, an dieses Bild angeblich entstand, ist der Tag des Sieges, denn am 9. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos und der Zweite Weltkrieg war damit in Europa zu Ende. Mit diesem endeten Holocaust und Vernichtungskrieg. Beides ereignete sich in erster Linie im Osten Europas, u.a. in der Ukraine, für dessen Anliegen die transatlantischen Berufstrolle vorgeblich streiten.
Die vormals als «Untermenschen» rassisch klassifizierten Bürger der Sowjetunion, denen deshalb ein geringeres Lebensrecht zustand, siegten unter gewaltigen Opfern. Dieser Tag ist gewiß eine ziemlich patriotische Sache. Der Zweite Weltkrieg heißt in Rußland der Große Vaterländische Krieg. Stalin ließ diesen Krieg so nennen, um den russischen Patriotismus zu beschwören. Schon den Krieg gegen Napoleon nannte man Vaterländischen Krieg. Auch das St.-Georgs-Bändchen knüpft an patriotische Traditionen an. Und prorussische Separatisten tun das auch. Das ist alles.
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